Nils Rödenbeck ist Deutschland-Chef des Teppich-Herstellers Interface. Foto: interface
Wie Unternehmen klimaneutral produzieren – Interview mit Nils Rödenbeck
„Wir wollen die Klimaerwärmung rückgängig machen!“
Klimaneutral produzieren ist nicht möglich? Immer mehr Unternehmen wollen das Gegenteil beweisen. Eines von ihnen ist der amerikanische Teppich-Hersteller „Interface“. Dessen Deutschland-Chef Nils Rödenbeck erklärt, wie die Firma funktioniert – und warum er sich nur schwer vorstellen kann, wieder in einem normalen Unternehmen zu arbeiten.
Nils Rödenbeck ist Deutschland-Chef des Teppich-Herstellers Interface. Foto: interface
Herr Rödenbeck, war Ihre Firma schon immer klimabewusst?
Nils Rödenbeck: „Interface“ wurde 1973 in Atlanta gegründet – damals war es allerdings ein ganz normales Take-Make-Waste-Unternehmen, war also nicht sonderlich klimabewusst. Wir haben uns immer an die gesetzlichen Richtlinien bezüglich der Umwelt gehalten, aber mehr auch nicht.
Wann änderte sich das?
Rödenbeck: Im Jahr 1994 wurde unser Unternehmensgründer von einem potentiellen Kunden gefragt: „Was machen Sie eigentlich für die Umwelt?“ Er merkte, dass seine Antwort den gesetzlichen Bestimmungen zu entsprechen, nicht sonderlich überzeugend war – und beschloss, etwas zu ändern.
Wie ging er da vor?
Rödenbeck: Er entwickelte einen Sieben-Punkte-Plan für das Unternehmen, um deutlich umweltfreundlicher zu produzieren und keine schädlichen Emissionen mehr zu verursachen: Er wollte unter anderem auf erneuerbare Energien umsteigen, den anfallenden Müll reduzieren, Stakeholder sensibilisieren, grundlegend umdenken. Das Ganze nannte er dann „Mission Zero“ – mit dem Ziel mit bis 2020 alle negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden.
Ein sehr ambitionierter Plan. Wie reagierten die Menschen darauf?
Rödenbeck: Ja, insbesondere in der damaligen Zeit, in der noch kein großes Bewusstsein für die Umwelt vorhanden war. Dementsprechend reagierten auch die Menschen auf die „Mission Zero“. Unsere Mitarbeiter*innen waren erst einmal sprachlos. „Jetzt ist er durchgedreht“, haben wahrscheinlich viele von ihnen gedacht.
Bald kamen 50 Prozent der Innovationen von den Mitarbeiter*innen.
Haben Sie sich dann trotzdem noch mit der „Mission Zero“ anfreunden können?
Rödenbeck: Absolut – sie brauchten etwas Zeit, um es sacken zu lassen, aber als das geschehen war, kam ein richtiger Identifikationsschub. Sie standen wirklich alle hinter unserer „Mission Zero“. Das ging sogar so weit, dass sie intensiv daran mitarbeiteten, die „Mission Zero“ weiterzuentwickeln und umzusetzen. Bald kamen rund 50 Prozent der Innovationen von den Mitarbeiter*innen.
Und haben diese Innovationen etwas gebracht?
Rödenbeck: Wir haben in 1996 das erste Mal bemessen und, mittlerweile können wir auf beachtliche Erfolge zurückblicken. In Europa und den USA nutzen wir zu 99 Prozent erneuerbare Energien, haben den CO₂-Fußabdruck unserer Teppichfliesen um 69 Prozent reduziert und unseren Treibhausgasemissionen in unseren Produktionsstätten um 96 Prozent gesenkt.
Dann sind Sie jetzt also am Ziel!
Rödenbeck: Wir sind an einem Ziel, ja. Aber wir haben uns 2016 schon ein weitergehendes Ziel vorgenommen: Wir wollen nicht mehr nur keine negativen Auswirkungen verursachen, sondern eine positive Wirkung erzielen: Wir wollen die Klima-Erwärmung rückgängig machen. Mir ist bewusst, dass auch das wieder ambitioniert klingt und dass viele Leute uns für verrückt halten werden – aber wir haben wieder einen Plan aufgestellt, dem wir folgen.
Wir sehen CO₂ nicht mehr als Feind, sondern als Freund, als eine Ressource.
Erklären Sie uns diesen „Climate Take Back“-Plan!
Rödenbeck: Wir haben auch da wieder mehrere Punkte: Erstens sehen wir CO₂ nicht mehr als Feind, sondern als Freund, als eine Ressource. Wir wollen es in unseren Produkten speichern – und haben 2018 schon den ersten Prototyp einer Fliese entwickelt, die mehr CO₂ bindet als für sie verbraucht wird. Zweitens wünschen wir uns Produktionsstätten, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Und drittens wollen wir neue Geschäftsmodelle finden, die umweltfreundlich funktionieren – auf den Philippinen etwa sammeln wir bereits alte Fischernetze und wandeln sie in Teppich-Garn um. Zudem bleibt für uns die Mission Zero immer noch relevant. Sie ist der letzte Baustein in unserer Mission Climate Take Back.
Das klingt alles sehr intensiv – folgen Ihnen andere Unternehmen da schon nach?
Rödenbeck: Viele haben uns zwar anfänglich kritisch beobachtet, aber sehen mittlerweile, dass unsere Herangehensweise funktioniert. Wir sind wirtschaftlich erfolgreicher als früher, das vergangene Jahr war das erfolgreichste in der Geschichte von „Interface“. Viele sehen uns daher als ein Vorbild in der Branche und folgen uns – aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch, weil ihr Bewusstsein für die Umwelt einfach gestiegen ist und sie daher umweltfreundlicher produzieren wollen. Ganz abgesehen davon verlangen es unsere Kund*innen auch immer mehr.
Ich wüsste keine Branche, in der man nicht auch umweltfreundlich arbeiten und produzieren könnte.
Kann man Ihre Herangehensweise auch auf andere Branchen übertragen?
Rödenbeck: Natürlich – ich wüsste keine Branche, in der man nicht auch umweltfreundlich arbeiten und produzieren könnte. Unsere Technik ist in allen Bereichen weit fortgeschritten, es gibt viel mehr Ideen zu den Themen Umwelt und Klimaschutz, das Wissen ist deutlich transparenter und viele sind dank Fridays for Future und Greta Thunberg und deren medialer Präsenz dafür sensibilisiert.
Was denken Sie denn über die aktuelle Klima-Diskussion?
Rödenbeck: Ganz ehrlich: Ich freue mich natürlich, dass das Thema nun so intensiv in den Medien diskutiert wird – aber die Diskussion ist sehr emotionalisiert, sehr aufgeladen mit Gefühlen. Ich wünsche mir, dass wir da mehr zu einer faktenbasierten Diskussion zurückfinden und uns gemeinsam darüber austauschen können, wie wir an einer klimafreundlicheren Welt arbeiten können. Das geht nämlich am besten nicht mit Emotionen, sondern mit Innovationen und Erfindungen.
Nachdem Sie nun jahrelang für „Interface“ gearbeitet haben, könnten Sie je wieder in einem „normalen“ Unternehmen arbeiten?
Rödenbeck: Schwierige Frage. Momentan ist das für mich nur schwer vorstellbar, weil ich wirklich zu einhundert Prozent hinter dieser besonderen Herangehensweise von Interface stehe. Wenn ich aber nochmal woanders arbeiten sollte, dann würde ich meine Erfahrungen hier nutzen, sie als Blaupause sehen und auf das andere Unternehmen übertragen. Ich würde dort als Erstes die Geschichte von „Interface“ erzählen.