Foto: janis96 - JF262977.JPG, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/...

Atommüll-Endlagersuche: Interview mit Jochen Ahlswede (BASE)

„Wir müssen uns die Versprechen und Folgen von Technologie sehr genau anschauen"

Wohin mit dem Atommüll? Es war lange Zeit still um die Endlagersuche in Deutschland. Seit Ende September nimmt die Diskussion wieder Fahrt auf. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung hat einen Zwischenbericht veröffentlicht und darin 90 Regionen vorgestellt, die geologisch in Frage kommen. Der Salzstock in Gorleben fällt raus. Im Interview mit Futurium-Onlineredakteurin Ludmilla Ostermann erklärt Jochen Ahlswede vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), wie die Suche weitergeht.

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Welche Reaktionen hat der Bericht zur Atommüll-Endlagersuche ausgelöst?

Jochen Ahlswede: Einerseits gab es überraschte Reaktionen. Viele hatten das Thema Atomenergie vermutlich schon abgehakt. Als sei mit dem Beschluss zum Ausstieg alles erledigt. Ebenfalls wahrgenommen habe ich Neugierde auf dieses neue Verfahren und die Erkenntnis, dass es nach neuen Standards abläuft. Dass diesmal Transparenz und Partizipation eine große Rolle spielen, und dass unabhängige Institutionen die Suche begleiten. Und natürlich gibt es auch Kritik an dem Verfahren, der Suche und den Ergebnissen.

Richtig. Es droht zum Beispiel Gegenwind auf politischer Ebene: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder lehnt die Endlager-Liste ab. Wie gehen Sie damit um?

Ahlswede: Bayern hat wie alle anderen Bundesländer der Endlagersuche zugestimmt und in der Kommission mitgewirkt, die dieses Verfahren konzipiert hat. Die Suche findet ergebnisoffen in ganz Deutschland statt, dem kann sich kein einzelnes Bundesland entziehen. Dass solche Äußerungen aber die Suche nicht einfacher machen, ist auch klar.

Das Zwischenlager Gorleben ist laut Bericht als Endlager vom Tisch. Eine überraschende Entscheidung, zumal dort aktuell 113 Castor-Behälter mit hochradioaktivem Abfall lagern. Wieso ist Gorleben als Zwischen- aber nicht als Endlager geeignet?

Ahlswede: Wir müssen unterscheiden zwischen dem Zwischenlager in Gorleben und dem Salzstock bzw. dem ehemaligen Erkundungsbergewerk. Das Zwischenlager ist eine für diesen Zweck gebaute und gesicherte oberirdische Halle, in der die Castor-Behälter mit hochradioaktiven Abfällen für einen begrenzten Zeitraum gelagert werden können. Die Kritik an Gorleben als Endlager orientiert sich jedoch an dem darunter liegenden Salzstock. 1977 ist durch die Politik zunächst beschlossen worden, dass dort ein nationales Entsorgungszentrum inklusive Endlager, Zwischenlager und Wiederaufarbeitungsanlage errichtet werden soll. Übrig blieben dann später das Zwischenlager und ein Erkundungsbergwerk. Das Auswahlverfahren war damals intransparent und nicht wissenschaftsbasiert. Heute haben wir die Chance, die Suche neu anzugehen – eben auf Basis wissenschaftlicher Daten und mit demokratischer Legitimation.

Die Akteure nehmen seit dem Neustart der Endlagersuche 2017 ganz Deutschland unter die Lupe. Wonach suchen sie?

Ahlswede: Gesucht wird ein Endlagerstandort, in dem ca. 1900 Castor-Behälter Platz finden. Diese Menge entspricht dem Müll, den Deutschland an hochradioaktivem Abfall seit Beginn der Energiegewinnung durch Atomkraftwerke produziert hat. Dabei wird nach sogenannten Wirtgesteinen in ausreichender Mächtigkeit gesucht, die den radioaktiven Abfall langfristig sicher einschließen und von der Biosphäre abhalten: Salz-, Ton- und Granitgestein. In Deutschland kommen alle drei Wirtsgesteine vor, sodass man aus vielen möglichen Standorten den mit der bestmöglichen Sicherheit für eine Million Jahre Sicherheit auswählen kann. Andere Länder verfügen nicht über diese Auswahlmöglichkeit.

Welche Kriterien entscheiden dabei über die Eignung eines Gebietes?

Ahlswede: Es gibt eine Vielzahl von geowissenschaftlichen und raumplanerischen Auswahl- und Abwägungskriterien, die vor Beginn der Suche gesetzlich festgelegt wurden. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat jetzt nach Aktenstudie und noch ohne Erkundungen vor Ort aufgrund geologischer Kriterien eine erste Auswahl aus ihrer Sicht vorgenommen. Diese gilt es in den nächsten Jahren nach und nach einzugrenzen und Vorschläge zu machen, welche konkreten Regionen und dann auch konkrete Standorte weiter erkundet werden.

Gorleben-Proteste waren auch Proteste gegen die Atomkraft als solche. Der Ausstieg ist nun besiegelt. Hoffen Sie auf eine größere Kompromissbereitschaft in der Bevölkerung, die die Entsorgung als gemeinschaftliche Aufgabe sieht?

Ahlswede: Der Beschluss, nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima auszusteigen, war eine der zentralen Voraussetzungen dafür, dass es überhaupt diese neue Endlagersuche geben konnte. Davor wurde die Debatte geführt, ob die Suche nach einem Endlager nicht doch auch dazu dient, Kernenergie weiter betreiben zu können. Mit dem Ausstiegsbeschluss sind die Mengen an radioaktiven Abfällen begrenzt für die nun ein Endlager gefunden werden muss. Ich glaube nicht, dass die Vorstellung eines Endlagers in der betroffenen Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommen wird, aber mit dem jetzigen Prozess wird die Entscheidungsfindung nachvollziehbar und damit ein Endlager hoffentlich tolerierbar. Um eine Lösung in dieser Frage kommen wir nicht herum, wenn der Atommüll keine Last für kommenden Generationen darstellen soll.

Transparenz und Partizipation bei dieser Endlagersuche sind begrüßenswerte Maßnahmen. Aber wie wollen Sie Anwohner*innen von einem Endlager letztlich überzeugen? Welche Anreize gibt es?

Ahlswede: Das Verfahren funktioniert im Wesentlichen durch Nachvollziehbarkeit und Beteiligung. Es geht nicht darum, sich die Zustimmung zu einem Endlager zu erkaufen. Die Sicherheit ist der ausschlaggebende Grund für Auswahl eines Endlagerstandorts. Im Laufe des Verfahrens aber können infrage kommende Regionen selbst Pläne für eine Kompensation entwickeln, ein sogenanntes Regionalentwicklungskonzept.

Was kann man sich unter so einer Kompensation vorstellen?

Ahlswede: Das ist aktuell noch völlig offen. Und auch bewusst so angelegt. Die Regionen sollen nicht mit einem fertigen Konzept konfrontiert sein, sondern selbst dieses Konzept in einem partizipativen Verfahren mitentwickeln.

Jochen Ahlswede arbeitet im Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in Berlin und leitet dort die Abteilung für Forschung, Genehmigung und Bergaufsicht für Endlager und Langzeitarchivierung. Er hat Physik und Politikwissenschaften in Münster und Hamburg studiert und zu Fragen der nuklearen Rüstungskontrolle geforscht. Das BASE wurde im Zuge des neuen Standortauswahlverfahrens für ein Endlager gegründet und fungiert als Fachbehörde des Bundes für den sicheren Umgang mit den Hinterlassenschaften der Atomenergie.

Foto: BASE

Haben Kommunen ein Veto?

Ahlswede: Eine Vetomöglichkeit für den Endlagerstandort hat eine Kommune nicht. Dies ist diskutiert worden, letztlich hat der Gesetzgeber aber für dieses Verfahren festgelegt, dass das demokratisch gewählte Parlament an verschiedenen Meilensteinen die Letztentscheidung trifft – nachdem die Suche im Vorfeld alle Bürgerbeteiligungsverfahren durchlaufen hat.

Würden Sie persönlich einem Endlager in Ihrem Lebensumfeld zustimmen?

Ahlswede: Ich könnte schwer im BASE arbeiten, wenn ich so etwas ablehnen würde. Ich würde mir als Bürger die Entscheidungsfindung sicherlich genau anschauen, aber letztendlich müssen wir dieses Problem lösen. Und wenn es in der räumlichen Nähe des eigenen Wohnortes ein Endlager gibt und ich nachvollziehen kann, dass die Suche wissenschaftsbasiert abgelaufen ist, dann denke ich, könnte ich das akzeptieren.

Der atomare Abfall strahlt hunderttausende Jahre. Wir wissen aber heute nicht einmal, wie sich die Bedingungen auf und unter der Erde in 500 Jahren darstellen. Wie seriös können also Voraussagen über das perfekte Endlager sein?

Ahlswede: In der Geschichte der Atomenergie ist immer wieder unterschätzt worden, welche Folgen diese Form der Energiegewinnung hat. Die Zwischenlager, die wir haben, sind lediglich Übergangslösungen für einige Jahrzehnte. Niemand kann garantieren, dass wir in 50 oder 100 Jahren als Gesellschaft noch die Ressourcen haben, um diese Anlagen zu sichern. Der tiefengeologische Einschluss ist nach internationalem Wissensstand die einzige Möglichkeit, die Abfälle langfristig so unterzubringen, dass man sie nicht mehr aktiv bewachen muss. Geolog*innen trauen sich zu einen Standort so gut zu untersuchen und zu modellieren, dass sie eine sehr fundierte Prognose abgeben können, die eine Million Jahre in die Zukunft reicht. Hundertprozentige Sicherheit im Sinne eines Nachweises gibt es bei so einer Frage jedoch nie.

Bis 2031 soll ein Endlager gefunden worden sein. Klingt nach viel Zeit. Reicht sie?

Ahlswede: Das Ziel 2031 ist sehr ambitioniert. So ein Ziel ist aber auch notwendig. Die Zwischenlager sind eben keine Dauerlösung. Wir müssen als Gesellschaft diesen Abfall relativ zügig in eine Situation bringen, in der man ihn nicht mehr selbst bewachen muss und man sie vergessen darf. Je länger es dauert, desto größer sind die Lasten für die jetzige Generation aber auch die Anwohner der Zwischenlager. Sie drängen auch darauf, eine Lösung zu finden.

Was kostet eigentlich ein Endlager? Und wer zahlt das?

Ahlswede: Für die Endkosten gibt es nur Schätzungen. Die ehemaligen Atomkraftwerksbetreiber haben dazu 24 Milliarden Euro in einem staatlichen Fond übergeben. Die Kosten beinhalten die deutschlandweite Suche, die Erkundung eines Endlagers – auch vor Ort, den Bau und Betrieb über Jahrzehnte sowie natürlich die Zwischenlagerung des Atommülls. Das ist ein infrastrukturelles Großprojekt. Eine exakte Endsumme kann heute niemand seriös nennen.

Warum verkauft Deutschland radioaktive Abfälle nicht einfach ins Ausland?

Ahlswede: Wir haben den Müll als Gesellschaft selbst produziert. Es ist eine Frage unabhängig davon, wie man persönlich zur Atomenergie steht: Wir müssen uns darum kümmern und können das nicht einfach abschieben – möglicherweise unter Inkaufnahme von abgesenkten Sicherheitsstandards, die in anderen Ländern gelten. Ich fände den Export des Atommülls unethisch.

Die Endlagersuche ist ein Mammutprojekt an, das viele Konflikte birgt. Blicken wir mal zurück: War die Energiegewinnung durch Atomkraft all das wert?

Ahlswede: Ich denke, diese Form der Energieerzeugung macht wie wenige andere Formen deutlich, welche weitreichenden Lasten mit Technologieversprechen einhergehen können. Entweder weil man sie unterschätzt hat oder aus Interessenslagen heraus ausgeblendet hat. Wir müssen jetzt mit diesem Abfall umgehen. Es ist müßig zu überlegen, ob es das wert war. Es zeigt, wie folgenreich so ein Technologieeinsatz sein kann. Das sehen wir auch in anderen Bereichen, wenn ich an die Folgen des CO2-Ausstoß durch fossile Formen der Energiegewinnung denke. Die Atomenergie lehrt uns, dass wir uns die Versprechen und Folgen von Technologien sehr genau anschauen müssen bevor sie im großen Maßstab eigesetzt werden. So etwas darf nicht erst in der Rückschau geschehen, weil so Pfadabhängigkeiten geschaffen werden, denen man nicht entkommt. Bei der Atomkraft ist das so: Wir haben jahrzehntelang eine Energieform genutzt, für die wir noch keine Entsorgungsoption haben. Und dass bei Stoffen, die geeignet sind, die Existenz von Umwelt und menschlichem Leben grundsätzlich zu gefährden. Das muss man sich vor Augen führen. Viele nach uns werden sich noch damit beschäftigen und belastet sein – im finanziellen Sinne und auch mit der gesellschaftlichen Bewältigung eines Großkonflikts.

Parallel zur Endlagersuche findet international, aber auch in Deutschland, die Forschung an einer neuen Generation von Atomkraftwerken, der sogenannten Gen IV Atomkraftwerken, statt. Sie sollen hohe Anforderungen an Nachhaltigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit erfüllen – allerdings auch erst 2030 startklar sein. Welche Rolle könnten diese Kraftwerke bei der deutschen Energiegewinnung trotz Ausstieg noch spielen?

Ahlswede: Mit dem Ausstieg aus der Atomenergie ist klar, dass diese Generation-IV-Reaktoren für die Energiegewinnung in Deutschland keine Rolle mehr spielen werden. Diese Konzepte werden aber in anderen Staaten verfolgt. Die Hersteller versprechen zwar viel in Sachen Sicherheit und Abfallvermeidung. Nach heutigem Kenntnisstand lässt sich jedoch sehr genau feststellen, dass auch diese Konzepte nicht um die Problematik der radioaktiven Abfälle herumkommen. Auch diese Reaktoren erzeugen große Mengen hochgefährliche Abfälle, die zu entsorgen sind.

In diesem Zusammenhang mit neuartigen Reaktoren ist auch von sogenannter Transmutation, mit der Atommüll abgeschwächt werden soll, zu lesen.

Ahlswede: Es gibt die Idee, durch sogenannte Transmutationsanlagen einige besonders lang strahlende Bestandteile der Abfälle zu verringern. Diese Anlagen gibt es bisher nur auf dem Papier, ob und wann ein großtechnischer Einsatz möglich wäre ist vollkommen offen. Und auch sie wären mit Unfallrisiken und Strahlenbelastungen verbunden und könnten nur einen Teil des Abfalls behandeln. Um die Endlagerfrage kommen wir nicht herum.