Heinz Trebbin nach dem Erdbeben 2010 in Haiti. Foto: Heinz Trebbin
Denkraum Technik
Prothesen weltweit
Schätzungsweise mehr als 30 Millionen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika brauchen Prothesen.[1] Welche Rolle der 3D-Druck dabei spielt, erklärt Heinz Trebbin. Der Orthopädietechnikermeister war von 2004 bis 2010 Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für Prothetik und Orthetik (ISPO).
Heinz Trebbin nach dem Erdbeben 2010 in Haiti. Foto: Heinz Trebbin
Während Prothesen in Industrieländern zu immer raffinierteren Hightech-Geräten werden, die komplexe Bewegungen ausführen können, fehlt es in anderen Ländern an der Grundversorgung für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Heinz Trebbin hat sein halbes Leben in Entwicklungsländern verbracht, um medizinische Hilfe zu leisten, Werkstätten aufzubauen und Einheimische in der Herstellung von Prothesen auszubilden. Heute lebt er wieder in seiner Heimat, dem Allgäu. Der 61-Jährige hat ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, das Ländern Prothesen aus dem 3D-Drucker zugänglich machen will, in denen es an medizinischer Versorgung hapert.
Studien zeigen, dass 80 Prozent [2] der Menschen mit körperlichen Einschränkungen in sogenannten „low-income countries", also Ländern mit niedrigem Einkommen, leben. Prothesen sind dort meist unerschwinglich. Wie kann man den Betroffenen am besten helfen?
Heinz Trebbin: Die medizinische Versorgung ist in ärmeren Ländern ein riesiges Problem. Nur wenige Menschen sind versichert. Während die Versorgung mit Prothesen in den Ländern, in denen Krieg herrscht, durch die Anwessenheit internationaler Hilfsorganisationen oftmals besser ist, fehlt es in den meisten Entwicklungsländern an Behandlungsmöglichkeiten. Hier müssen wir dringend Lösungen finden. Zu den wichtigsten Ursachen für Amputationen gehört weltweit Diabetes. In Lateinamerika ist die Stoffwechselkrankheit beispielsweise sehr verbreitet. Dort ist nicht nur mehr Aufklärung gefragt, sondern auch eine bessere Gesundheitsversorgung.
Was muss getan werden, damit mehr Patient*innen in Entwicklungsländern die Chance haben, eine Prothese zu bekommen?
Zu den wichtigsten Ursachen für Amputationen gehört weltweit Diabetes.
Trebbin: Professionell ausgebildete Orthopädietechniker*innen gibt es in ärmeren Ländern oft nur wenige. Meist arbeiten sie nur in den Großstädten. Der Weg dahin ist für die Betroffenen weit, sie haben hohe Kosten für die Anfahrt oder Verdienstausfälle. Wir brauchen deshalb eine Möglichkeit, mehr Menschen außerhalb der Zentren zu helfen. Eine Alternative könnten dabei Prothesen aus dem 3D-Drucker sein.
Wie funktioniert es, eine Prothese aus dem Drucker herzustellen?
Trebbin: Zuerst wird der Stumpf des amputierten Beins mithilfe eines 3D-Scanners millimetergenau vermessen. Anschließend lässt sich mit einer Software am Computer ein virtueller dreidimensionaler Prothesenschaft herstellen, der wichtigste Teil einer funktionellen Prothese. Dieser wird im 3D-Drucker ausgedruckt und mit den anderen Elementen des künstlichen Beins verbunden.
Das kann an jedem Ort der Welt passieren?
Trebbin: Im Prinzip ja. Einen passenden Schaft mithilfe eines Gipsabdrucks traditionell herzustellen, ist eine hohe Kunst. Dafür braucht es jahrelange Erfahrung. Nichts darf drücken oder gar wundscheuern. Mit dem 3D-Druck gelingt das einfacher – und Orthopädietechniker*innen müssen nicht vor Ort anwesend sein. Gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut planen wir ein Pilotprojekt, bei dem Spezialist*innen zentral im Entwicklungsland ausgebildet werden. Via Internet bekommen sie den 3D-Abdruck von einer Hilfskraft aus der Region der Patient*innen geschickt, modellieren ein Verbindungsstück am Rechner und senden die Daten wieder zurück. Vor Ort wird dann die Prothese ausgedruckt. So kann es gelingen, dass wenige Spezialist*innen vielen Menschen helfen.
Wie werden die Prothesen aus der Ferne angepasst?
Trebbin: Die Orthopädietechniker*innen können beispielsweise via Videoschaltung bei der Anpassung der Prothese dabei sein. Sie schauen sich das Gangbild an und leiten die Hilfskräfte an.
Sind die 3D-Prothesen schon weit verbreitet in Entwicklungsländern?
Trebbin: Der 3D-Druck steckt noch in den Kinderschuhen, was die eingesetzten Materialien betrifft, aber die Technologie hat großes Zukunftspotenzial. Ein weiterer Vorteil des 3D-Drucks ist, dass man individuelle Prothesen herstellen kann, etwa Füße mit komplexen Gelenken. Bisher gibt es in Entwicklungsländern aber erst einzelne Projekte, in denen 3D-Druck zum Einsatz kommt.
Der 3D-Druck hat großes Zukunftspotenzial.
Sie sagen, die bisherigen 3D-Projekte funktionieren nicht nachhaltig. Warum?
Trebbin: Vielfach werden einfach billige Prothesen ausgedruckt. Das ist natürlich besser als nichts. Aber wir brauchen professionelle Fachkräfte, die für eine gute Qualität der Behandlung sorgen. Es ist zudem wichtig, eine Servicestruktur in den Ländern aufzubauen, die auch dann gut funktioniert, wenn die Entwicklungshelfer*innen längst wieder nach Hause gefahren sind. Wir brauchen Hilfe zur Selbsthilfe – und keine, die abhängig macht.
Was unterscheidet die Prothesen, die bisher in Entwicklungsländern zum Einsatz kommen, von denen in Industrieländern?
Trebbin: In Ländern wie Deutschland kommen mehr Hightech-Prothesen zum Einsatz. Im Prinzip kann man aber zum Beispiel eine funktionelle Unterschenkelprothese bereits für 200 bis 300 Dollar bauen. Zum Vergleich: In Deutschland kostet ein funktional ähnliches Modell 5000 bis 10 000 Euro. Wichtig ist aber vor allem, dass Prothesen für Entwicklungsländer stabil, kostengünstig und langlebig sind. Und in bestimmten Regionen muss das Material hohe Feuchtigkeit und starke Sonneneinstrahlung aushalten können.
Was muss die Entwicklungspolitik zukünftig leisten, damit sich die Versorgung mit Prothesen in ärmeren Ländern verbessert?
Trebbin: Ich würde mir wünschen, dass auch außerhalb der Kriegsgebiete mehr für die Menschen getan wird. Wir brauchen viele kleine Projekte vor Ort, die nachhaltig sind und auch über einen längeren Zeitraum laufen. Manchmal geht es allein darum, große Summen aus der Entwicklungshilfe schnell auszugeben – egal, ob das sinnvoll ist oder nicht. Hier wäre es besser, genauer hinzuschauen, wie man die Gelder bestmöglich einsetzen kann.
Kreislauf von medizinischer Verpflegung und Armut
Anfälligkeit für Armut, Behinderungen und Bedürftigkeit bedingen sich gegenseitig. Wer eine Behinderung hat, rutscht schnell in die Armut ab, wer arm ist, kommt nur noch schwer aus ihr heraus: In unser Grafik siehst Du, welche Konsequenzen dieser Kreislauf zum Beispiel auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung hat.
Quellenangabe
[1] World Health Organization/World Bank. The World Report on Disability. Geneva: WHO, http://whqlibdoc.who.int/publications/2011/9789240685215_eng.pdf (2011), S. 102.
[2] Prosthetics an Orthotics 2012, 37 (5)353-361: Provision of prosthetic an orthotic services in low-income countries: A review of the literature, Colette S Harkins, Anthony McGarry and Arjan Buis