Prof. Dr. med. Karin Amunts ist Direktorin des Institutes Strukturelle und funktionelle Organisation des Gehirns (INM-1). Quelle: https://www.fz-juelich.de/Shar... Foto: Jülich Forschungszentrum
Denkraum Technik
Dürfen Computer Gedanken lesen?
Über Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI) können Menschen beispielsweise Prothesen ohne Muskelkraft steuern. Doch wie sieht es mit der Anwendung von BCI bei Gesunden aus? Wie streng müsste der Einsatz bei einem solchen Szenario geregelt werden – und wo verlaufen die ethischen Grenzen? Antworten gibt die Medizinerin Professor Doktor Katrin Amunts, ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats.
Prof. Dr. med. Karin Amunts ist Direktorin des Institutes Strukturelle und funktionelle Organisation des Gehirns (INM-1). Quelle: https://www.fz-juelich.de/Shar... Foto: Jülich Forschungszentrum
Die Anwendungsmöglichlichkeiten von BCI werden mehr und die Forschung macht immer größere Fortschritte. Welche ethischen Fragen ergeben sich?
Katrin Amunts: Je mehr man über den Gegenstand der Forschung, in diesem Fall das Gehirn und seine Prozesse, versteht, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich, diese Prozesse zu beeinflussen. Als Medizinerin möchte ich natürlich genau das: Wissen, was bei einer bestimmten Krankheit im Gehirn passiert und darauf aufbauend, diesen Zustand therapeutisch zum Positiven zu verändern, ob nun medikamentös, verhaltensorientiert oder technologiebasiert wie bei BCI.
Oder zum Negativen.
Amunts: Das ist richtig. Manchmal stößt man auch auf andere als die intendierten Wirkungsweisen. Tiefe Gehirnstimulation, die beispielsweise bei Parkinson angewendet werden kann, führt im Erfolgsfall zu einem Rückgang motorischer Symptome wie dem Tremor – für viele Betroffene ein massiver Fortschritt. Gleichzeitig beobachtet man, dass sich mitunter nach der Operation die Persönlichkeit verändert. Das wirft ethische Fragen auf: Wie sicher müssen wir sein, dass wir nur den gewünschten Effekt erreichen? Das ist bei einem so komplexen Organ wie dem Gehirn besonders schwer einzugrenzen. Hier hat ein Eingriff an einer ganz bestimmten Position im Gehirn häufig Auswirkungen auf das gesamte System.
Welche Einsatzmöglichkeiten von BCI sind bei gesunden Menschen denkbar?
Amunts: Es wurde in einigen Studien an Patienten über eine kurzzeitige Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten durch Tiefe Hirnstimulation oder Transkranielle Magnetstimulation, bei der starke Magnetfelder von außen auf bestimmte Bereiche des Gehirns wirken, berichtet. Da inzwischen verschiedene nicht-invasive Verfahren zur Verfügung stehen, wäre es also durchaus denkbar, solche Verbesserungen von kognitiven Fähigkeiten auch bei Gesunden im Sinne eines digitalen Neuro-Enhancements zu erreichen. Mitunter ist jedoch der Effekt bei Gesunden genau umgekehrt wie der bei Patienten. Das, und noch viele ungeklärte Fragen, z.B. zu Langzeiteffekten, zeigt den Forschungsbedarf und unterstreicht das Risiko solcher Herangehensweise.
Wie sollten wir mit diesen Möglichkeiten umgehen? Und welche Fragen werfen sie auf?
Amunts: Das sind komplizierte Fragen. Soll man den Einsatz von BCI bei Gesunden komplett ablehnen? Darf man ihn ablehnen? Wir benutzen ja auch andere Hilfsmittel wie eine Brille oder ein Hörgerät um Fähigkeiten zu unterstützen und zu steigern. Wo ziehen wir also die Grenze? Darf ich mein Hörvermögen erweitern, aber meine Gedächtnisleistung nicht? Und angenommen ich darf, wie weit darf ich gehen? Bezahlt die Krankenkasse dann alles? Diese Fragen können sehr unterschiedlich beantwortet werden. Man muss die Chancen und Risiken solcher Eingriffe genau analysieren und gegeneinander abwägen. Neben sehr konkreten medizinischen Fragen ergeben sich auch ethische, rechtliche und philosophische.
Welche wären das?
Amunts: Zum Beispiel, was macht es mit uns Menschen, wenn wir uns „digital dopen“, um uns weiter zu optimieren? Ändert sich dadurch das Menschenbild? Entsteht daraus ein gesellschaftlicher Zwang? Bin ich noch ich selbst, wenn ich meine Leistung und vielleicht die Persönlichkeit mithilfe von Magnetstimulation verändere? Wäre das fair anderen gegenüber, die das vielleicht nicht können oder wollen? Das sind aus meiner Sicht sehr interessante, aber auch anspruchsvolle Fragen. Darüber müssen wir sprechen.
Wer könnte sie beantworten?
Amunts: Eine Lösung kann eigentlich nur gemeinsam in unserer Gesellschaft gefunden werden: Hirnforscher*innen, Psycholog*innen, Jurist*innen, EthikerInnen und Philosoph*innen müssten sich an einen Tisch setzen, kritische oder strittige Punkte identifizieren, und eventuell schädliche Entwicklungen oder Gefahren früh zu identifizieren um ihnen rechtzeitig entgegenzuwirken können.
Locked-in-Patient*innen können sich mithilfe von BCI und Implantaten wieder mitteilen. Man kann sie aber nicht danach fragen, ob sie den notwendigen Eingriff wollen. Wie geht man in solchen Fällen vor?
Amunts: Wir sind noch ein gutes Stück von einem Routineeinsatz entfernt, aber es gibt einige vielversprechende Ansätze, die nicht-invasiv sind. Zum Beispiel arbeiten Forscher daran, einzelne Buchstaben, an die jemand im MRT-Scanner denkt, aus der gemessenen Hirnaktivität verlässlich zu rekonstruieren. Wenn sich solch ein Locked-in Zustand aufgrund einer progredienten Erkrankung abzeichnet, könnte man zudem frühzeitig das Einverständnis erlangen, bevor die Kommunikation abbricht.
Brauchen wir Regulierungen in dem Bereich?
Amunts: Wir müssen uns dazu eine Meinung erarbeiten. Es wäre wichtig, dass die Gesellschaft sich darauf einigt, ob und unter welchen Bedingungen das erlaubt sein sollte. Denn, wäre es in Ordnung, wenn man sich z.B. mit transkranieller Magnetstimulation einen kognitiven Vorteil in einer Prüfung oder einem Auswahlgespräch verschafft? Oder sagen wir, dass jeder frei ist das zu tun? Was ist mit eventuellen Risiken und Nebenwirkungen? Bezahlt den Schaden dann die Krankenkasse, also wir alle? Ich denke, jetzt ist der Zeitpunkt, wo die Gesellschaft diese Fragen diskutieren müsste.
Exkurs: Kontroverse um Prof. Dr. Niels Birbaumer und die CLIS-Patient*innen
Durchbruch oder Spiel mit der Hoffnung?
Der Psychologe und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Niels Birbaumer ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Hirnforschung. Eines seiner Forschungsprojekte befasste sich mit so genannten CLIS-Patient*innen. CLIS steht für Completely-Locked-In und beschreibt Patient*innen, deren Muskeltätigkeit komplett zum Erliegen gekommen ist. Diese Menschen können auch nicht mehr die Augen bewegen. Als letzte Möglichkeit zur Kommunikation mit der Umwelt bleibt gewissermaßen das Gehirn selbst.
Birbaumer und sein Team suchten nach einer Möglichkeit, mit Hilfe von BCI die Kommunikation mit CLIS-Patient*innen zu ermöglichen. Sie entwickelten eine Lösung in Gestalt einer Neoprenkappe, die mit Infrarot die Durchblutung des Gehirns misst. Birbaumer war sicher, damit einen Weg gefunden zu haben, um ein „Ja" von einem „Nein" unterscheiden zu können.
2017 veröffentlichte er im US-amerikanischen Fachmagazin PLOS Biology einen Aufsatz über seinen Durchbruch auf diesem Gebiet, der viel Gehör fand. Doch dann kamen einem Tübinger Informatiker Zweifel an der Aussagekraft der verwendeten Messdaten. Daraus entstand eine wissenschaftliche Kontroverse, die bis heute andauert.
Drei Journalisten der Süddeutschen Zeitung und des SZ-Magazins, Patrick Bauer, Patrick Illinger und Till Krause, haben das Thema recherchiert (https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/niels-birbaumer-das-medizinische-wunder-ist-fragwuerdig-1.4406087, Video frei verfügbar, Artikel gebührenpflichtig). Im Juni 2019 hat eine Untersuchungskommission der Universität Tübingen, an der Birbaumer bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2013 forschte und lehrte, wissenschaftliches Fehlverhalten von Birbaumer und seinem Kollegen Ujwal Chaudhary festgestellt. Den Artikel findet ihr hier.
Literaturangaben und Lesetipps
Grosse-Wentrup, Moritz: Gehirn-Computer-Schnittstellen – eine neue Form der Kommunikation, Forschungsbericht 2011, Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Tübingen.
Dickel, Sascha: Der neue Mensch – ein (technik)utopisches Upgrade. Der Traum vom Human Enhancement, Aus Politik und Zeitgeschichte/APuZ 87-38/2016.
Chapin, J. K., K. A. Moxon, R.S. Markowitz, und M.A. Nicolelis, 1999. “Real-Time Control of a Robot Arm Using Simultaneously Recorded Neurons in the Motor Cortex”, Nature Neuroscience 2 (7): 664-70, doi: 1038/10223.
Stanley, Garrett B., Fei F. Li, und Yang Dan. 1999. „Reconstruction of Natural Scenes from Ensemble Responses in the Lateral Geniculate Nucleus”. Journal of Neuroscience 19 (18): 8036-42.
Informationen zum Verbundprojekt der Europäischen Union zur Zukunft der Brain/Neutral-Computer Interaction – mit ausführlichen Informationen zum Thema BCI, den neuesten Entwicklungen auf diesem Gebiet und Forschungsprojekten und -gruppen, unter anderem. http://bnci-horizon-2020.eu/