Photo: WAHLUNIVERSUM / Jessica Wahl
Interview mit Alexander Gerst
"Die Erde wird endlich im Angesicht der Unendlichkeit"
Astronaut Alexander Gerst war 363 Tage im All – mehr als jeder andere europäische Raumfahrer. Für eine Forschungsreise zum Mond würde er sich erneut ins All begeben. Was wir vom "achten Kontinent", wie Gerst ihn nennt, über die Erde lernen können und wie die Raumfahrt zu einer besseren Zukunft beitragen kann, verrät er Onlineredakteurin Ludmilla Ostermann im Interview.
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Warum ist es wichtig, sich heute mit Zukunft zu befassen?
Es ist wichtig, sich für alle möglichen Probleme zu wappnen, die in Zukunft auf uns zukommen können. Wir haben in der Geschichte gesehen, dass diese manchmal nicht vorhersehbar sind. Oder im Nachhinein vorhersehbar, aber wir reagieren erst spät, wie etwa beim Klimawandel. Es ist wichtig, dass wir Technologien, Gedankenkonzepte und Strategien entwickeln – wie im Beruf des Astronauten auch – um uns auf das Unvorhersehbare vorzubereiten. Wir rechnen damit, dass Unvorhergesehenes passiert, dass unterschiedliche Probleme auftreten, die aus verschiedenen Richtungen kommen können. Dafür müssen wir uns mit der Zukunft auseinandersetzen und strategisch in die Millionen Richtungen denken, die sie bringen könnte. Dafür ist es wichtig, einen Ort zu haben, in dem man diese Gedanken entwickeln kann. Deshalb finde ich solche Häuser wie das Futurium großartig, weil sie dazu anregen, nicht nur über die Vergangenheit nachzudenken, sondern auch nach vorne zu schauen. Natürlich ist es wichtig, beides zu kennen und aus der Vergangenheit zu lernen. Ich persönlich finde die Zukunft aber viel spannender.
Wie kann die Raumfahrt zu einer besseren Zukunft beitragen?
Die Raumfahrt ist das Möglichmachen der Zukunft in unserer kosmischen Umgebung. Das Universum außerhalb der Erde ist unendlich viel größer als unsere Erde selbst. Dort warten Chancen und Risiken, auf die wir vorbereitet sein müssen. Die Dinosaurier wurden wahrscheinlich von einem großen Asteroiden ausgelöscht, auch uns Menschen droht diese Gefahr. Und wenn sie real wird, sollten wir gewappnet sein. Im Moment sind wir es noch nicht. Die Raumfahrt hilft uns dadurch, dass sie uns eine überblickende Perspektive auf uns selbst gibt. Und dadurch, dass Raumfahrt eine schwierige technische Angelegenheit ist, müssen wir ohnehin weit vorausdenken. Raumfahrtprojekte sind deshalb langfristig ausgelegt. Da geht es nicht nur um die nächsten zehn oder 20 Jahre, sondern darum, Strategien und Ziele zu erkennen, die uns auch in 50 Jahren noch leiten und uns zeigen, wo Investitionen sinnvoll sind. Letztendlich dient die Raumfahrt dazu, das Leben auf der Erde zu verbessern und eine Zukunft für uns möglich zu machen. Wir schauen deshalb hinter die Horizonte, um zu erkennen, was dort draußen auf uns wartet und zu erkennen, was Chancen und Risiken sind.
Sie waren insgesamt 363 Tage im All. Möchten Sie das Kalenderjahr noch voll machen?
Zwei Tage mehr oder weniger sind für mich nicht wichtig. Ich bin nicht auf Rekorde aus. Generell ist es aber so, dass ich Entdecker bin und auch weiterhin mein Herzblut in der Weltraumforschung liegt. Wenn ich die Chance bekäme, nochmals in den Weltraum zu fliegen, weiter zu fliegen, vielleicht bis zum Mond, würde ich das natürlich sofort machen. Ich denke, es ist richtig und wichtig für uns Menschen, dass wir den Mond entdecken. Ich sehe den Mond als unseren achten Kontinent und wir wissen noch fast gar nichts über ihn. Dabei ist der Mond sehr relevant für uns, weil er uns sagt, wie die Erde entstanden ist und wie wir sie besser schützen können. Er ist ein wichtiger Außenposten mit Blick auf uns selbst.
Alexander Gerst (von links), Meereis-Physikerin Stephanie Arndt und Forschungsministerin Anja Karliczek bei der Eröffnung des Futuriums.
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Was vermissen Sie bei Ihren Einsätzen im All am meisten?
Eigentlich vermisse ich nicht viel. Es macht mir Spaß, in unwirtlichen Umgebungen zu forschen, Werte, Wissen und Perspektiven zu schaffen. Mir hat es körperlich nie viel ausgemacht, im Weltraum zu sein. Ich habe es als großartig empfunden. Aber es gibt kleine Dinge, die man als Erdenmensch vermisst. Das ist eben die einfache Schönheit unseres Planeten und die alltäglichen Situationen, die wir hier unten vorfinden: Wolken, Bäume, Luft, Wind, Wasser, Regen – all das habe ich schon vermisst. Aber es war deshalb kein Problem, weil ich ja wusste, dass ich alles wiedersehe. Wir bei der ESA sind vielmehr davon überzeugt davon, dass Exploration damit einhergeht, dass man neue Perspektiven und Eindrücke auf die Erde zurückbringt und sie mit anderen Menschen teilt. Natürlich wird es irgendwann auch Menschen geben, die sich dafür entscheiden, zu neuen Sternensystemen aufzubrechen und nicht mehr zurück zu kommen. Das gab es schon immer, sonst wären neue Kontinente nicht entdeckt worden.
Lassen wir die Zukunft mal Zukunft sein. Was würde Alexander Gerst heute machen, wäre er nicht Astronaut geworden?
Obwohl Astronaut zu sein für mich der beste Beruf der Welt ist, bin ich nie davon ausgegangen, dass ich Glück haben würde, ausgewählt zu werden. Ich habe mich dennoch bei der ESA beworben, um der Sache eine reale Chance zu geben. Ich war jedoch auch zufrieden als Wissenschaftler. Als Vulkanologe habe ich in der Antarktis auf Vulkanen geforscht und wollte in Alaska am Alaska Volcano Observatory arbeiten. Ich denke, ich wäre also jetzt auf irgendeinem Vulkan unterwegs. Und tatsächlich war ich das auch kürzlich. Ich war mit meiner alten Universität auf dem Stromboli-Vulkan, habe Geräte gewartet und dadurch Student*innen geholfen, ihre Studien zu betreiben. Es hat mir Spaß gemacht, wieder in meine alte Umgebung zurückzukehren und zu forschen. Im Winter geht es auf eine Expedition in die Antarktis, um dort Meteoriten zu sammeln. Dort sind sie besonders leicht zu identifizieren, weil es sonst nur Eis gibt. Wir wollen Meteoriten finden, die uns lehren, wie das Sonnensystem und die Erde entstanden sind. Dort liegen auch Meteoriten, die aus dem Mars herausgesprengt wurden. So können wir auch über unseren Nachbarplaneten etwas lernen. Gleichzeitig ist die Expedition ein gutes Training für Exploration auf dem Mond. In der Antarktis sind die Lebensbedingungen ähnlich feindlich, bei Minus 50 Grad. Und dort Wissenschaft zu betreiben ist entsprechend schwierig. Es ist also eine Win-Win-Situation.
Welches Thema liegt ihnen persönlich am meisten am Herzen, wenn Sie in die Zukunft blicken?
Ich finde alles interessant, was uns zwingt, Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen. Vielleicht ist die Weltraumfahrt deshalb so spannend für mich. Durch den Perspektivwechsel sehen wir Zusammenhänge, auf die wir sonst nicht gekommen wären. Wir erkennen glasklar, wie zerbrechlich das Ökosystem der Erde ist. Von außen wird außerdem klar, wie begrenzt die Ressourcen der Erde sind. In der Raumfahrt versuchen wir, unseren Beitrag zu leisten. Zum einen, indem wir Daten liefern, um den Status unserer Erde zu kennen. Den Klimawandel hätten wir nicht so einfach entdeckt, wenn wir keine Satellitensysteme hätten, mit denen wir aus allen möglichen Winkeln und Spektren auf die Erde blicken können. Zum anderen wollen wir den Menschen die Augen öffnen. Selbst etwas so Großes wie der Planet Erde wird endlich im Angesicht der Unendlichkeit. Mir ist es wichtig, den Menschen diese Perspektive zu geben, damit jeder sich Gedanken machen kann, wo wir eigentlich gerade leben, nämlich auf einer absoluten Ausnahme im Universum. Dass wir auf einem kleinen blauen Raumschiff leben, das durch einen großen, schwarzen, lebensfeindlichen Kosmos zieht.