Wie Forscher*innen Kernfusionenergie fit für den Energiemarkt machen wollen

Auf dem Weg zur Fusion

Aus der Kernfusion schöpfen Sterne ihre Energie. Forscher*innen arbeiten seit sechs Jahrzehnten daran, diese gewaltige Kraft auch auf der Erde zu nutzen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg, viele Fragen sind offen. Das internationale Projekt ITER soll Antworten geben.

Die Testanlage ITER (Internationaler Thermonuklearer Experimental-Reaktor) befindet sich im südfranzösischen Cadarache. Dort sollen in einer weltweit einzigartigen Kooperation neue Lösungsansätze entstehen: Sieben Projektpartner – China, Europa, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA – bündeln unter EU-Führung seit 1985 ihre Expertise, um das Himmelsfeuer auf der Erde zu entfachen. ITER soll die Voraussetzungen dafür schaffen, die Kernfusionstechnologie fit für den Energiemarkt zu machen. Im November 2019 wurde das Reaktorgebäude fertiggestellt. Geplant ist, die Experimente bis 2035 erfolgreich abzuschließen. [1]

Wie die Anlage entsteht, kannst Du hier verfolgen.

Das ehrgeizige Ziel des Projekts: Mit ITER soll zehnmal mehr Energie erzeugt werden, als benötigt wird, um die Kernfusion im Reaktor überhaupt erst zu starten und dauerhaft aufrechtzuerhalten. In der Gemeinschaftsanlage JET (Joint European Torus) im britischen Culham gelang es europäischen Wissenschaftler*innen bereits 1997, über die Hälfte der verbrauchten Leistung per Fusion zurückzugewinnen. [2] Läuft alles nach Plan, könnte die maximale Leistung der Testanlage bei 500 Megawatt liegen.

Aufbau nach dem Zwiebelprinzip: der ITER-Reaktor

Wie soll der dauerhafte Betrieb von ITER funktionieren, wie das Sonnenfeuer entfacht werden? In seinem Inneren werden die Wasserstoffarten Deuterium und Tritium auf 150 Millionen Grad Celsius erhitzt. [3] Unter diesen Extrembedingungen beginnen die Atomkerne miteinander zu verschmelzen. Dabei werden enorme Mengen an Energie frei: Laut Max-Planck-Institut für Plasmaphysik könnte ein Gramm dieses ionisierten Gases, auch Plasma genannt, in einem Fusionskraftwerk 90.000 Kilowattstunden Energie freisetzen. Das entspricht der Verbrennungswärme von elf Tonnen Kohle. [4]

Da sich das Gas an der Reaktorwand sofort abkühlen und die Fusionsreaktion stoppen würde, nutzen die ITER-Forscher*innen Magnetfelder, die das Plasma einschließen und von den Reaktorwänden fernhalten sollen. Wie ein Käfig umschließen Magnetspulen die donutförmige Plasmakammer, in der die Kernfusion stattfindet – mit sechs Metern Durchmesser und 840 Kubikmetern der weltweit größte Reaktor seiner Art. [5] Zudem wird elektrischer Strom durch das Plasma geleitet. Er erzeugt ein zusätzliches Magnetfeld, das dabei hilft, das Plasma zusammenzuhalten. Auf diese Weise können die Plasmateilchen gleiten, ohne die Reaktorwände zu berühren – und die Kernfusion bleibt erhalten.

Supraleitung für verlustfreien Energiefluss

Den Reaktor selbst umgibt eine Kühlkammer, in der Temperaturen von minus 269 Grad Celsius herrschen, um die Supraleitung des Stroms in den Spulen zu ermöglichen: Anders als herkömmliche Kupferspulen verbrauchen supraleitende Spulen, die auf tiefe Temperaturen abgekühlt werden, nach dem Einschalten keine Energie. Die Folge: Der Spulenstrom kann fast verlustfrei fließen und das Magnetfeld mit wenig Leistung aufrechterhalten. [6]

Auch Sicherheitsaspekte der Kernfusion spielen bei ITER eine wichtige Rolle. Eine meterdicke Betonschicht soll den größten Fusionsreaktor der Welt künftig umhüllen, um zu verhindern, dass gefährliche Neutronenstrahlung austritt, die bei der Kernfusion entsteht und sich in den Wänden des Reaktors ablagert (mehr zur Auswirkung von radioaktiver Strahlung lest ihr hier). Anders als bei Atomkraftreaktoren strahlen die atomaren Abfälle von Kernreaktoren jedoch schwächer und kürzer. Schon nach hundert Jahren soll ein Großteil der radioaktiven Strahlung abgeklungen sein. [7] Auch Kettenreaktionen, wie sie bei Atomreaktoren entstehen können, sind ausgeschlossen. Denn eine Kernschmelze ist im Fusionsreaktor nicht möglich: Keine der genutzten Energiequellen - Plasma, Magnetfeld oder Kühlmittel - ist in der Lage, die Sicherheitshülle von innen zu zerstören: [8] Bei möglichen Zwischenfällen würde die Kernreaktion sofort in sich zusammenfallen.

Wie der ITER-Fusionsreaktor aussehen soll, kannst Du Dir hier anschauen.

Herausforderungen der Kernfusion

Doch ob der ITER-Zeitplan tatsächlich eingehalten werden kann, ist derzeit noch ungewiss. Denn bis zum Einsatz der Testanlage ist es ein weiter Weg. So arbeiten die Forscher*innen etwa daran, das 100 Millionen Grad heiße Plasma und die daraus entweichende Wärme dauerhaft so zu kontrollieren, dass die Wände der Brennkammer diesen Belastungen langfristig standhalten. [9] Auch eine Lösung für die radioaktiven Abfälle des ITER-Reaktors muss noch gefunden werden.

Gelingt das ITER-Experiment, sollen die grundlegenden Erkenntnisse über die Funktionsweise eines Reaktors die Basis für den Bau eines Demonstrationskraftwerks (Demonstration Power Plant, DEMO) liefern: DEMO wird über alle Funktionen eines Kraftwerks verfügen – als Vorstufe zum ersten kommerziellen Fusionskraftwerk. [10] Zudem wird DEMO weit größer als die Testanlage ITER sein. Das Plus an Volumen soll es erleichtern, die Fusionsreaktion aufrechtzuhalten und auf diese Weise Energie im Dauerbetrieb zu erzeugen. Expert*innen rechnen damit, dass DEMO 2050 den Betrieb aufnimmt. [11]


Quellen und Literaturangaben


[1] https://www.iter.org/proj/inafewlines
[2] https://www.ipp.mpg.de/46085/1_faltblatt
[3] https://www.iter.org/mach
[4] https://www.ipp.mpg.de/46293/fusion_d.pdf
[5] http://www.fusion.kit.edu/downloads/Kernfusion.pdf
[6] https://www.ipp.mpg.de/11862/magnetspulen
[7] https://www.ipp.mpg.de/2641049/faq9
[8] https://www.iter.org/doc/www/content/com/Lists/WebLinks/Attachments/1005/TM1203_ITER.pdf
[9] https://www.ipp.mpg.de/9031/demo
[10] https://www.ipp.mpg.de/11862/magnetspulen
[11] https://www.n-tv.de/wissen/Ist-Kernfusion-die-Alternative-article2924046.html