Risiken und Chancen
Atomkraft: Eine strahlende Zukunft?
Wie lässt sich der drohende Klimawandel aufhalten? Einige Forscher*innen sind der Meinung, die Atomkraft könne einen Beitrag dazu leisten. Sie sehen gerade in der Generation IV – den neuen Kernkraftwerkkonzepten, an denen noch geforscht wird – eine große Chance, denn sie gelten als sichere und nahezu emissionsfreie Energiequelle. Doch wie umweltfreundlich ist nuklearer Strom wirklich? Und welche Risiken gehen mit der neuen Kernenergie einher?
Atomstrom gilt generell bei der Erzeugung als relativ emissionsarm. Das heißt, er produziert wenig Treibhausgase, die für die Erwärmung des Klimas verantwortlich sind. Befürworter*innen sind deshalb der Meinung, dass Kernenergie derzeit die beste Stromquelle im Kampf gegen den Klimawandel darstellt – egal ob bereits laufende Meiler oder künftige Reaktortypen.
Saubere Sache?
Wie viel Kohlendioxid (CO2) stößt ein Atomkraftwerk wirklich aus? Die Angaben variieren stark, da die Berechnungen auf verschiedenen Annahmen und Szenarien basieren. Das Umweltbundesamt zitiert eine CO2-Bilanz der Süddeutschen Zeitung, die den ganzen Lebenszyklus aller Energieträger vergleicht. Hier landet Kernenergie auf Platz drei mit einem Kohlendioxidausstoß pro Kilowattstunde (kWh) – also die Energie, die in einer Stunde bei einer Leistung von einem Kilowatt verbraucht wird – von 16 bis 23 Gramm. Platz eins und zwei belegen Wasser- und Windkraft. Erst auf Platz vier folgt Solarenergie. Auf den letzten Ränge befinden sich die fossilen Brennstoffe Erdgas, Erdöl, Stein- und Braunkohle, hier starten die Werte mit 410 Gramm und enden bei 1230 Gramm pro Kilowattstunde.[1] Wenn Kernkraftwerke ihren eigenen Brennstoff erzeugen, wozu nur wenige in der Lage sind, soll der Kohlendioxidausstoß bei nahezu null liegen – jedoch nur während der Stromerzeugung. Der größte Teil der CO2-Emissionen der Kernkraft fällt vor oder nach der Stromproduktion an, etwa bei der Gewinnung des Brennstoffs Uran sowie dem Auf- und Abbau des Reaktors, wo unter anderem viel Beton zum Einsatz kommt.[2] Ist der Brennstoff – beispielsweise Uran – der Atomkraftwerke aufgebraucht, muss er entsorgt werden. Das riesige Problem dabei: Manche durch die Kernspaltung entstandenen Bestandteile strahlen radioaktiv – mit der Zeit zwar immer weniger, aber insgesamt mehr als eine Million Jahre. Diese Strahlung kann Pflanzen, Tiere und Menschen schädigen.[3] Um die Umwelt vor dem Atommüll zu schützen, werden sichere Zwischen- bzw. Endlager gesucht. Letztere gibt es allerdings bislang nicht. Doch das könnte sich bald ändern: In Finnland soll 2020 das erste Endlager für hochradioaktiven Müll in Betrieb genommen werden.
Wie sicher ist Atomenergie?
Die Gefahren für Umwelt und Mensch liegen bei der Atomkraft auch im Risiko eines Störfalls. Bei Unfällen in Kernkraftwerken kann radioaktives Material ausströmen und die Umgebung weitreichend und dauerhaft verseuchen. 1986 kam es in Tschernobyl (Ukraine) zum Super-GAU: Der Reaktor überhitzte, explodierte und mehr als 350.000 Menschen mussten flüchten. Von tausenden Todesfällen geht das Tschernobyl-Forum aus. Viele davon starben an den Spätfolgen. 2011 explodierte nach einem Erdbeben eine Kernkraftanlage im japanischen Fukushima, circa 160.000 Menschen mussten evakuiert werden.[4] Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts könnte solch ein Unfall wie in Fukushima alle zehn bis 20 Jahre eintreten – 200 Mal häufiger als bisher angenommen.[5] Hinzu kommt, dass Atomkraftwerke potenzielle Ziele für militärische Angriffe sind und manche Reaktoren eine Quellen für atomwaffenfähiges Material darstellen.[6] Das Risiko eines Unfalls oder der Proliferation steigt, wenn wir die Zahl der Atomkraftwerke aufstocken, um den Wegfall der fossilen Energieversorgung auszugleichen. Denn noch erzeugen fossile Brennstoffe über 80 Prozent der weltweiten Energie, Atomkraft nur rund fünf Prozent.[7] Es müssten also zahlreiche Kernkraftwerke gebaut werden, um weiterhin dieselbe Menge an Energie zu produzieren. Doch auch andere Energieträger könnten den Menschen schaden. Laut Fürsprecher*innen der Atomkraft entstehen durch Kohlekraftwerke dauerhafte, vermeintlich größere Schäden: Nach Schätzungen der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland sterben in der Europäischen Union jährlich mehr als 18.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung durch Kohleförderung und -kraftwerke.[8] Den Angaben des Berichts zufolge schwanken die Zahlen bei globaler Betrachtung. Feinstaub und Schwermetalle bergen die Risiken: Sie sollen dem menschlichen Körper schaden, beispielsweise Lungenfunktionsprobleme, schlechtere Gehirndurchblutung, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen und vieles mehr verursachen. Doch schon vor der Emission ist die Kohleförderung gesundheitsschädlich durch den entstehenden Feinstaub. Braunkohleabbau stellt eine besondere Gefahr dar, denn das Gestein enthält radioaktives Uran, Thorium und Kalium-40. Diese Elemente reichern sich im Feinstaub an und gefährden so wiederum unsere Gesundheit.[9]
Energie – wann immer wir wollen?
Warum nicht also auf Solar-, Wind- und Wasserkraft setzen, um umweltfreundlich Strom zu produzieren? Skeptiker*innen verweisen darauf, dass die Energieleistung gerade bei Solar- und Windenergie unberechenbar schwanke und (noch) nicht ausreichend durch Speichertechnologien genutzt werden könne. Für lange Zeiträume ließe sich nicht vorhersagen, wann und ob die Sonne scheine und wie stark der Wind wehe – wenn es überhaupt Wind gäbe. Atomenergie stehe dagegen jeden Tag zu jeder Zeit zur Verfügung. Andererseits: Wir wissen nicht genau, wie lange wir noch Atomstrom produzieren können. Als Brennstoff dient vor allem Uran. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt, dass das Uranvorkommen auf der Welt noch ungefähr 130 Jahre reiche.[10] Bauen wir mehr Atomkraftwerke, verbrauchen wir das Uran schneller – deshalb wird auch an Reaktorkonzepten geforscht, die den Brennstoff recyceln können.
Wie hoch sind die Kosten?
Atomkraft sei günstig, sagen die Befürworter*innen. Laut Spiegel-Recherche kostete 2019 eine Kilowattstunde Atomstrom in Deutschland mehr als zehn Cent; Wind- (an Land), Gas- oder Kohlestrom vier bis acht Cent. Dabei wird auch die Atomkraft staatlich subventioniert – und ist dennoch deutlich teurer als andere (ebenfalls geförderte) Energieträger.[11] Hinzu kommt, dass die hohen Kosten des im Vergleich sehr aufwändigen Rückbaus der Kraftwerke bei der Berechnung nicht einbezogen werden. Die Ausgaben für ein mögliches Endlager kämen noch dazu.[12] Das Deutsche Institut für Wirtschaft berechnete und analysierte die Kosten des Atomstroms und kam zu dem Schluss: zu teuer und gefährlich.[13] Eine Investition in ein Atomkraftwerk mit 1000 Megawatt-Leistung lohne sich nicht – ein Verlust von 1,5 bis 8,9 Milliarden Euro sei zu erwarten.
Das Aus für die Kernenergie?
Um all diesen Problemen entgegenzutreten, arbeiten Forscher*innen derzeit an neuen Reaktorkonzepten, Generation IV genannt. Hier variieren beispielsweise die Brennstoffe und Kühlsysteme sowie die Größe der Kraftwerke. Die neue Generation soll sicherer sein, weil durch ihre Bauweise der Überhitzung und Explosion des Reaktors vorgebeugt werden könnte. Bei vielen Designs soll sich der Brennstoff außerdem nicht zum Waffenbau nutzen lassen. Bisher ist die Generation IV allerdings erst einmal noch in der Erforschung. Mehr zu den Reaktortypen der IV. Generation gibt es hier.
Ein eher experimentelles Design, das nicht zu den „klassischen“ Modellen der IV. Generation gehört, verfolgt der Typ Laufwellenreaktor. An diesem Modell forscht derzeit das Unternehmen TerraPower. Er soll gebrauchte radioaktive Brennstäbe recyceln können.[14] Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Professor Harald Lesch sieht jedoch Probleme: Dieser Reaktor benötigt flüssiges Natrium als Kühlung und das gilt als sehr leicht brennbar und somit als Störquelle.[15] Sollte es austreten, könnten Brände entstehen, die sich nicht mit Wasser löschen ließen. Zudem existiert das Konzept bisher nur auf dem Papier, es beruht allein auf Computer-Berechnungen. Ein Prototyp des Laufwellenreaktors wurde bislang nicht gebaut. Es ist also nicht klar, ob er im Betrieb wirklich so funktioniert, wie er sollte. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zieht Bilanz: „Auch von anderen Typen der vierten Generation sind keine technologischen beziehungsweise ökologischen Durchbrüche zu erwarten.“[16]
Atomkraft, was nun?
Atomkraft polarisiert – egal ob ältere oder jüngere Reaktor-Generationen. Denn Probleme wie Sicherheit und ein Umgang mit dem Atommüll, sind bisher ungeklärt. Die Atomkraftwerke der Generation IV wollen Lösungen bieten, doch ob sie dazu in der Lage sind, ist bisher ungewiss. Es bleibt die grundlegende Frage, ob die Kernenergie Bestandteil unseres künftigen Energiekonzepts bleiben soll.
Exkurs
Die deutsche Regierung hat sich im Rahmen des Kyoto Protokolls verpflichtet, bis 2020 sieben wichtige Treibhausgase um 20 Prozent [17] [18] zu reduzieren, die zur Erderwärmung beitragen sollen – bis 2030 sogar um 40 Prozent im Vergleich zu 1990.[19] Den größten Anteil an Treibhausgas-Emissionen macht in Deutschland mit 88 Prozent (Stand 2017) Kohlendioxid (CO2) aus.[20] Die meisten Treibhausgas-Emissionen verursacht laut Bundesumweltamt mit 84,5 Prozent die Umwandlung von fossilen Energieträgern (Öl, Kohle und Gas) in Strom, Treibstoff und Wärme.[21]
Literatur und Quellenangaben
[1] https://www.bundestag.de/resource/blob/406432/70f77c4c170d9048d88dcc3071b7721c/wd-8-056-07-pdf-data.pdf, S. 21
[2] https://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/ist-atomstrom-wirklich-CO2-frei
[3] https://www.spektrum.de/wissen/6-fakten-ueber-unseren-atommuell-und-dessen-entsorgung/1342930
[4] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/fukushima-jahrestag-103.html
[5] J. Lelieveld, D. Kunkel, M.G. Lawrence (2012): Global Risk of Radioactive Fallout after Major Nuclear Reactor Accidents. Atmospheric Chemistry and Physics 12 (9). 4245–4258
[6] Der Spiegel, „Strahlend grün“ von Philip Bethge, 14. Dezember 2019
[7] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167998/umfrage/weltweiter-energiemix-nach-energietraeger/
[8] https://fr.boell.org/sites/default/files/kohleatlas20151.pdf, S. 20
[9] https://fr.boell.org/sites/default/files/kohleatlas20151.pdf, S. 21
[10] https://read.oecd-ilibrary.org/nuclear-energy/uranium-2018_uranium-2018-en#page109
[11] Der Spiegel, „Strahlend grün“ von Philip Bethge, 14. Dezember 2019 / https://www.bund-naturschutz.de/wirtschaft-umwelt/erneuerbare-energien-sind-zu-teuer.html
[12] https://www.handelsblatt.com/technik/energie-umwelt/pro-und-contra-atomenergie-die-zwei-gesichter-der-kernkraft/3948876.html
[13] DIW Wochenbericht 30/2019: Zu teuer und gefährlich: Atomkraft ist keine Option für eine klimafreundliche Energieversorgung
[14] https://terrapower.com/productservices/twr
[15] https://www.youtube.com/watch?v=qdAH4019or0
[16] DIW Wochenbericht 30/2019: Zu teuer und gefährlich: Atomkraft ist keine Option für eine klimafreundliche Energieversorgung //
Vgl. M.V. Ramana (2016): The checkered operational history of high-temperature gas-cooled reactors. Bulletin of the Atomic Scientists 72 (3), 171–179 (online verfügbar); Benjamin K. Sovacool und M.V. Ramana (2015): Back to the Future: Small Modular Reactors, Nuclear Fantasies, and Symbolic Convergence. Science, Technology, & Human Values 40 (1), 96–125 (online verfügbar).
[17] https://www.bmu.de/themen/klima-energie/klimaschutz/internationale-klimapolitik/kyoto-protokoll/verpflichtungsperioden/
[18] Um 30 Prozent, sollten sich andere Industrieländer auf vergleichbare Ziele einigen.
[19] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/europaeische-energie-klimaziele
[20] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland#textpart-3 (Diagramm)
[21] https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/energiebedingte-emissionen#textpart-1