Der britische Dozent und Umweltaktivist Hopkins hat 2006 die Umweltbewegung ins Leben gerufen. Dort engagieren sich Menschen für eine „enkelfreundliche Zukunft“. Und die sieht so aus: Wir leben in Städten und Dörfern, in denen wir uns zum größten Teil lokal ernähren und wirtschaften könnten. Diese Lebensweise soll uns „resilient“ machen: also unabhängiger von externer Energieversorgung und industrieller Warenproduktion. ,„Als Kultur bewegen wir uns momentan in eine Richtung, welche die Sehnsüchte der Gegenwart über die Erfordernisse der Zukunft stellt. Unbeirrt geben wir unsere Abfälle, Kredite und unser Klimachaos – alles Folgen eines an kurzfristigen Interessen ausgerichteten Handelns – an zukünftige Generationen weiter.“ [1] Gründungshauptstadt ist die südenglische Stadt Totnes, die sich 2006 als erste Stadt zur „Transition Town“ ernannte. Transition bedeutet Wandel und Veränderung. Eine laute Revolution möchten die Transition-Mitglieder*innen nicht. Sie wollen im Alltag unter Beweis stellen, dass ein plastikfreies, von der Globalisierung unbeeindrucktes lokales Leben möglich ist – und Spaß machen kann.
Totnes – ein gelebtes Experiment
Seit 13 Jahren erprobt die alte Stadt Totnes mit ihren rund 8000 Einwohner*innen das neue Denken. Aus der Utopie ist ein gelebtes Experiment geworden, das rund um den Globus Nachahmer*innen gefunden hat. Über 2000 Transition-Town-Initiativen haben sich in 50 Ländern organisiert. In Deutschland setzen sich beispielsweise Berlin Friedrichshain-Kreuzberg und Bielefeld seit 2008/2009 für ein Umdenken im Stadtleben ein. Erneuerbare Energieversorgung, Tauschhandel unter Nachbar*innen und lokaler Nahrungsanbau bilden die Basis des Zusammenlebens. Totnes besitzt sogar eine eigene Währung, das Totnes-Pfund, mit der im Ort bezahlt werden kann. In „Reskilling“-Workshops leben traditionelle Handarbeit und Handwerkskunst wieder auf. Nachbarschaftliche Zusammenarbeit ist das Grundprinzip der Transition-Bewegung. Gruppen aus sechs bis sieben Haushalten pro Straße setzen sich zusammen, um gemeinsam Maßnahmen für einen nachhaltigen Alltag umzusetzen. Aktuell leiten etwa ein Dutzend offiziell Verantwortliche die vielfältigen Projekte, an denen sich die Freiwilligen beteiligen.[2] 2011, wenige Jahre nach der Gründung, nahmen 468 Haushalte und über 1100 Einwohner*innen an der Bewegung teil.[3]
Das alternative Ernährungssystem
In Zeiten einer globalisierter Lebensmittelindustrie, in denen – zumindest in den westlichen Industrienationen – ein ganzjähriges Supermarktvollsortiment erwartet wird, setzen die Transition Towns auf lokale und saisonale Ware. Produziert wird sie in Dach-, Hinterhof- und Gemeinschaftsgärten, wo Gemüse und Kräuter oft auch zum „Selbstbedienen“ wachsen. Eine autarke Ernährung der Stadt Totnes ist zwar bislang nicht erreicht. Mit der Organisation von Foodfestivals, dem wöchentlichen „Grown in Totnes“-Markt sowie der Zusammenarbeit mit Bäckern, Restaurants und Farmern aus der Region wächst das Transition-Netzwerk aber stetig.
Eine Herausforderung für den urbanen Anbau ist die Verfügbarkeit von ausreichender Fläche. Deshalb setzen die Bürger*innen von Totnes auch hier auf das Tauschprinzip: „Tausche meine Arbeitskraft und Zeit gegen deinen Garten“. Wer keinen eigenen Garten besitzt, bittet Nachbar*innen, deren nicht bewirtschaftetes Grün urbar machen zu dürfen. Eine weitere wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der Transition Towns ist die Zusammenarbeit mit der Politik. So stellt die Verwaltung von Totnes städtische Grünflächen zur Verfügung. Grundlegendes Prinzip der urbanen Landwirtschaft ist die Permakultur. Fruchtfolgen und „Nachbarschaft“ von Gemüsesorten sind aufeinander abgestimmt, Nutztiere wie Hühner und Schweine spielen eine wichtige Rolle bei der Schädlingsbekämpfung und Düngung. Der Mensch greift möglichst wenig in die natürlichen Kreisläufe ein, die natürlichen Ökosysteme werden weitestgehend gewahrt.
Doch wie realistisch ist es, dass ein autarkes Leben wie in Totnes angestrebt auch global funktioniert? Die Grundsätze der Transition Towns sind – vom Tauschhandel bis zum Reskilling – nicht neu, sondern können auch als eine Rückbesinnung auf „alte Zeiten“ und ihre moderne Interpretation verstanden werden.
Gemeinschaftsgärten – vom Sozialprojekt zur Tourist*innenattraktion
In den Megastädten von Entwicklungsländern, wie Dhaka, Delhi oder Lagos, rät die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) dazu, die urbane Landwirtschaft auszubauen. Nachweislich hilft der Eigenanbau bei der Bekämpfung von Hunger und Kriminalität. Die Menschen haben eine gemeinschaftliche Aufgabe, finden neuen sozialen Zusammenhalt und grüne Rückzugsgebiete.[4] Ein Problem, das sich hier allerdings oft stellt: eine erhöhte Schadstoffbelastung der Ernte durch den Anbau an großen Verkehrsachsen oder neben Industrieanlagen. Und dort, wo nicht öffentlich gefördert wird, ist der Weg zu einer neuen urbanen Landwirtschaft oft steinig. Das Projekt „Himmelsbeet“ in Berlin-Wedding zum Beispiel wurde 2012 privat ins Leben gerufen und kämpft seit 2015 ums Überleben. Das Interesse am gemeinschaftlichen Gärtnern ist zwar da, doch was fehlt, ist die nötige Fläche.[5] In Tokio wird hingegen bis heute erfolgreiche Landwirtschaft inmitten der 35-Millionen-Metropole betrieben. Stadtbauern haben seit Jahrhunderten ihre Äcker gegen die Verstädterung verteidigt. Heute gelten die grünen Oasen im Bezirk Nerima als Vorzeigeprojekte der Stadt. Neben ertragreichen Ernten für die lokalen Supermärkte verspricht sich Tokio eine neue Touristenattraktion.[6] Als Aushängeschild gilt auch die „Food Partnership“ der Stadt Brighton. Seit 2003 fördert die südenglische Stadt ein auf soziale Gerechtigkeit ausgelegtes Ernährungssystem, das auf lokale Gartenprojekte setzt. Ziel ist es, allen Einwohner*innen eine gesunde, frische und umweltfreundliche Lebensmittelversorgung bereitzustellen.[7]
Der globale Blick auf die urbane Landwirtschaft zeigt: Sie ist vielfältig und sie steht vor sehr unterschiedlichen Herausforderungen. Rob Hopkins, der Gründer der Transition-Town-Bewegung, ist jedoch überzeugt[8]: Am Anfang ist ein Projekt immer klein, und man glaubt nicht, dass es die Welt verändern könnte. Aber es steckt eine Macht dahinter, die nicht ignoriert werden sollte.
[1] Rob Hopkins, „Einfach. Machen. Jetzt.“, 2014
[2] https://www.transitiontowntotnes.org/about/who-we-are/ (Stand: 6.1.2020)
[3] https://www.transitionstreets.org.uk/wp-content/uploads/2015/03/Comms-project-case-study-Ashden.pdf (Stand: 6.1.2020)
[4] FAO, Growing Greener Cities, 2010, http://www.fao.org/ag/agp/greenercities/pdf/ggc-en.pdf
[5] Toni Karge, Neue urbane Landwirtschaft, Berlin 2015.
[6] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/urban-agriculture-japan-1.4713004 (Stand: 6.1.2020)
[7] Philipp Stierand, Stadt und Lebensmittel. Die Bedeutung des städtischen Ernährungssystems für die Stadtentwicklung, Dortmund 2008.
[8] https://www.youtube.com/watch?v=KtNcBk0PKUg (Stand: 6.1.2020)